Erschienen am:15.01.2025

Wie Familien gut unterstützt werden können

Interview mit Ulrika Leuering, Leiterin der Ambulanten Familienhilfen

Wie können belastete Familien in Münster gut unterstützt, begleitet und beraten werden? Und welche Themen beschäftigen die Mitarbeitenden der Ambulanten Familienhilfen? Im Interview gibt deren Leiterin Ulrika Leuering Antworten.

 

Das Team der Ambulanten Familienhilfen der Caritas Münster.

Wie viele Familien haben die ambulanten Familienhilfen 2024 sozialpädagogisch begleitet?

Im Jahr 2024 haben wir in den ambulanten Familienhilfen durchschnittlich 75 bis 80 Familien begleitet. Den überwiegenden Teil davon im Rahmen der ambulanten Hilfen zur Erziehung, einen kleinen Teil aber auch über die Familienpatenschaften durch das Engagement von Ehrenamtlichen.

Welche Themen beschäftigen belastete Familien besonders?

In der Arbeit der ambulanten Hilfen zur Erziehung (SPFH Fachdienst) haben wir es in den letzten Jahren mit einer zunehmenden Gefährdungslage zu tun. Das bedeutet, dass viele Familien, die wir in der SPFH Arbeit betreuen, mehrere Probleme haben: Suchterkrankungen, Gewalt zwischen Elternteilen, Gewalt gegenüber den Kindern und weitere psychische Erkrankungen der Familienmitglieder kommen oft gleichzeitig in einem Familiensystem vor. Ebenso kann es sein, dass schon ein Teil der Kinder stationär untergebracht ist und andere Kinder noch zuhause leben. Auch Familien, in denen Familienmitglieder Opfer von sexualisierter Gewalt geworden sind oder in denen es zumindest deutliche Verdachtsmomente dazu gibt, betreuen wir vermehrt.

In der Arbeit mit den Familienpaten haben wir in den letzten Jahren verstärkt bemerkt, dass immer mehr Familien aus der sogenannten Mittelschicht Kontakt zu uns aufnehmen und um Unterstützung bitten. Diese Familien fühlen sich überfordert, allein gelassen und haben gleichzeitig das Gefühl, dass es ihnen noch „zu gut“ gehen würde, um andere Hilfsangebote zu beantragen. Fehlende Betreuungsmöglichkeiten von Kindern spielen hier ebenfalls eine große Rolle.

Wie können Familien unterstützt werden?

Ganz grob könnte man sagen, dass wir zwei verschiedene Wege haben, wie wir Familien unterstützen: Zum einen die ganz praktische Hilfe im Alltag: Infos geben, über Rechte aufklären, Kontakte zu anderen Hilfsangeboten herstellen, bei Behördengängen begleiten usw. Diese Auflistung könnte man noch endlos weiterführen, denn hier gibt es viel, was wir tun.

 

Zum anderen gibt es den großen Teil der Beratung. Dieser Teil ist für uns besonders wichtig, denn letztlich geht es uns darum, dass wir die Familien mittelfristig wieder in die Lage versetzen wollen, selbstwirksam und zufrieden ihr Leben zu führen, ohne dabei eine Gefährdung für sich oder andere darzustellen. Dieser Prozess ist anspruchsvoll: Die Biografie von Eltern spielt hier eine Rolle, mögliche Traumatisierungen in der Vergangenheit und Vermeidung der Weitergabe von destruktiven Verhaltens-und Beziehungsmustern. Die Eltern-Kind Interaktion steht hier genauso im Mittelpunkt wie die Eltern- und Paarebene zwischen den Erwachsenen.

Bei den Familienpatenschaften achten wir sehr darauf, dass die Probleme der Familien nicht so groß sind, dass man eigentlich eine Fachkraft bräuchte. Auch wenn die Familienpaten zu den Familienhilfen gehören, ist es uns wichtig, diese zwei Bereiche voneinander abzugrenzen –letztlich auch, um unsere ehrenamtlichen Mitarbeitenden nicht zu überfordern. Die Unterstützung im Rahmen der Familienpatenschaften beinhaltet oft kleinere Hilfestellungen im Alltag, um Eltern Entlastung und Kindern gleichzeitig schöne Momente zu bieten.

Immer mehr Familien benötigen Hilfe. Was sind die Hauptgründe?

Ganz praktisch hat sich die finanzielle Lage von einigen Familien verschlechtert. Das sorgt für zusätzlichen Druck, der zu den Schwierigkeiten, die vielleicht vorher schon da waren, dazu kommt. Daher spüren wir bei den Familienpatenschaften auch die Verschiebung zur Mittelschicht, wie oben bereits erwähnt. Fehlende Betreuungsmöglichkeiten für Kinder kommen hinzu. Aspekte wie die gesellschaftlichen Nachwirkungen von Corona oder auch Kriege in Europa führen außerdem dazu, dass viele Menschen sagen, dass sie das Gefühl haben, gerade eher in unsichereren Zeiten zu leben. Auch dieser Aspekt wirkt sich auf Familien aus.

Mit Blick auf den Fachdienst der ambulanten Hilfen zur Erziehung haben wir es seit längerer Zeit –natürlich auch über Münster hinaus -mit einer schwierigen Versorgungslage in der Jugendhilfe zu tun. Das ist allgemein bekannt. Diese Verschärfung der Lage greift natürlich auch auf unseren Fachdienst über. Hier kann ich jedem die Doku „Jugendämter in Not“ in der ARD Mediathek empfehlen, die anschaulich und lebensnah schildert, unter welcher enormen Belastung und Verantwortung KSD Mitarbeiter: innen oft ihre Arbeit machen.

Ein anderer wichtiger Aspekt ist, dass es immer weniger Fachkräfte gibt, die sich längerfristig die sozialpädagogische Arbeit in der stationären Jugendhilfe vorstellen können. Diese Arbeit ist sehr anspruchsvoll, findet im Schichtdienst statt und man ist täglich konfrontiert mit hoch belasteten Kindern und Jugendlichen. Somit haben nicht nur die Jugendämter, sondern hat auch die stationäre Jugendhilfe ein Fachkräftemangelproblem.

Die gute und unterstützende Zusammenarbeit mit dem Jugendamt und auch den stationären Hilfsangeboten ist daher für uns als Fachdienst umso wichtiger. Letztlich haben wir alle das gleiche Ziel und möchten Kindern, Jugendlichen und Familien eine gute und sichere Lebensperspektive bieten.